Den Sigmund Freud habe ich persönlich nicht mehr gekannt, wohl aber seinen Chauffeur. Wir alle wissen, dass Sigmund Freud aus Deutschland ausgewiesen wurde und das Land verlassen musste. Er ist nach England gegangen. Umgebracht haben ihn die Nazis nicht, beim Professor Freud hatten sie möglicherweise noch Hemmungen vor einer bösen Berichterstattung.
Als der Tag der Abreise herannahte, sprach Professor Freud zu seinem Chauffeur. Er hatte ja einen sehr noblen Dienstwagen, ein Foto von diesem Auto (einen Gräf & Stift) habe ich selbst gesehen, aber das Auto gibt es möglicherweise nicht mehr.
Also sprach der Professor Freud zu seinem Chauffeur: „Lieber Herr Malina, Sie wissen ja, dass ich wegmuss und die Nazis haben mir selbstverständlich alles Wertvolle weggenommen. Ich habe daher kein Geld für Sie, weil ich denke, dass Ihnen für Ihre treuen Dienste eine Abfertigung zusteht. Geld habe ich keines mehr, aber ich gebe Ihnen als Entschädigung mein Auto. Nehmen Sie das als Abfertigung.“
Natürlich war das Auto viel mehr wert, als die Abfertigung ausgemacht hätte und der Chauffeur stellte das Auto brav in die Garage, damit es nicht beschädigt werden konnte.
Nach ein paar Tagen erschien ein Herr mit einer schwarzen Uniform und sagte, dass er erfahren habe, dass das Auto des Sigmund Freud sich derzeit beim Chauffeur befinden würde und er müsste dieses Auto jetzt beschlagnahmen. Es sollte als Dienstwagen für den Reichsleiter (Baldur von Schirach) dienen.
Auf den Einwand des Chauffeurs, er habe doch dieses Auto geschenkt erhalten, kam die kurze und knappe Antwort des schwarz Uniformierten: „Ein Jud hat nichts zu verschenken!“ So war das Auto des Herrn Professor Freud jetzt weg. Was aus dem Auto geworden ist, weiß ich natürlich nicht. Vielleicht hat es sich nach dem Krieg einer unter den Nagel gerissen, oder es ist in den Sümpfen der Ukraine versunken. Jedenfalls glaube ich, dass es das Auto nicht mehr geben dürfte.
Ich habe dann versucht, eine Entschädigung für das Auto zu bekommen (nach dem Krieg selbstverständlich), aber selbstverständlich wurde mir bald klar, dass mein Versuch erfolglos bleiben würde, denn der österreichische Staat war auch nicht interessiert, eine Entschädigung für das beschlagnahmte Auto herauszurücken. Ich habe dann den Versuch bald aufgegeben, die Tochter des inzwischen verstorbenen Chauffeurs hätte sich möglicherweise gefreut, aber mir blieb in Erinnerung: „Ein Jud hat nichts zu verschenken!“ Und so ist das auch wahr geworden.
Das war die Geschichte vom Professor Freud und seinem Auto. Sie ist traurig wie so vieles aus dieser Zeit, leider kann man heute nichts mehr daran reparieren.
So ganz versehe ich das mit dem Fahrzeug nicht. War das Auto jetzt Eigentum von Freud oder „nur“ ein zur Verfügung gestellter Dienstwagen? Letzteren könnte Freud ja tatsächlich nicht verschenken, mit oder ohne Nazis.
Von Prof. Freud weiß ich nur wenig, aber ich könnte mir vorstellen, daß der Professor das Auto dazu benutzt hat, um seine Patienten zu besuchen. Sollte er keine Hausbesuche gemacht haben, bitte um Berichtigung, wenn einer darüber was weiß. Wenn er aber doch Hausbesuche gemacht hat, so war der „Dienstwagen“ sein persönliches Eigentum, über das er frei verfügen hätte können müssen. Ich kann mir nicht vorstellen, daß er fremdes Eigentum verschenken hätte wollen. Nicht einmal in der Lage, in der er sich befunden hatte. Ich vermute also, daß der Begriff „Dienstwagen“ etwas unglücklich gewählt ist. Nichtsdestotrotz ist der Vorgang bezeichnend für die Natur des Menschen, denn sowas kann in jedem anderen Regime auch vorkommen, daß sich einer etwas unrechtmäßig unter den Nagel reißt